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Allan Kardec

Eine ergänzende Biographie

(Aus der „Revue Spirite“, Mai 1869)
Von Franz Sucher, Pfleger des „Deutschen Spiritisten-Vereins“

Allan Kardec wurde am 3. Oktober 1804 als Léon-Hippolyte-Dénizard Rivail geboren. Er war Sprössling einer alten Familie, die sich in der Magistratur und Advokatur ausgezeichnet hatte. Er folgte nicht dieser Laufbahn; seit seiner ersten Jugend fühlte er sich zum wissenschaftlichen und zwar philosophischen Studium hingezogen. Er wurde in der Pestalozzi-Schule zu Yverdon in der Schweiz erzogen, war einer der hervorragendsten Schüler dieses berühmten Lehrers und ein eifriger Verbreiter seines Erziehungssystems, das auf die Unterrichtsreform Deutschlands und Frankreichs einen so großen Einfluss ausgeübt hat.

Mit einer bemerkenswerten Intelligenz ausgestattet und durch seinen Charakter wie durch seine besonderen Fähigkeiten zum Unterrichten begabt, lehrte er von vierzehn Jahren an diejenigen seiner Mitschüler, die sich weniger Kenntnisse als er erworben hatten, alles was er wusste. In dieser Schule entwickelten sich die Ideen, die ihn später der Schar der Fortschrittler und Freidenker einreihen sollten.

In der katholischen Religion geboren, aber in einem protestantischen Lande erzogen, machte ihm die Intoleranz, die er in dieser Hinsicht zu erdulden hatte, früh die Idee einer religiösen Reform begreiflich, an welcher er während langer Jahre in der Stille arbeitete, als Ziel den Gedanken, zur Glaubenseinigung zu kommen. Aber ihm mangelte das unerlässliche Element zur Ausführung dieses großen Problems. Der Spiritismus lieferte es ihm später und drückte seiner Arbeit ein besonderes Gepräge auf.

Als seine Studien beendet waren, kam er nach Frankreich. Da er die deutsche Sprache gründlich kannte, übersetzte er verschiedene Werke über Erziehung und Ethik für Deutschland, und, was besonders charakteristisch ist, die Werke Fenelon‘s, die ihn besonders anzogen.

Er war Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften, u.a. der königlichen Akademie von Arras, die ihn anlässlich ihres Preisausschreibens von 1831 für eine bemerkenswerte Denkschrift über die Sprache: „Welches ist das mit den Bedürfnissen der Zeit am meisten harmonierende Studiensystem?“ mit dem Preis krönte.

Von 1835-1840 gründete er in seiner Wohnung, Rue de Sèvres, Gratiskurse, worin er Chemie, Physik, vergleichende Anatomie, Astronomie etc. vortrug, ein des Lobes aller Zeiten würdiges Unternehmen, aber besonders preiswürdig in einer Zeit, da nur ein kleiner Teil von Geistern wagte, diesen Weg zu beschreiten. Beständig beschäftigt, die Erziehungssysteme anziehend und interessant zu gestalten, erfand er in derselben Zeit eine geniale Methode, rechnen zu lernen, und eine memotechnische Tafel der französischen Geschichte, welche die Taten der bemerkenswertesten Begebenheiten und Entdeckungen, die jede Regierung auszeichneten, veranschaulichte und sie im Gedächtnis fixieren helfen sollte.

Unter seinen zahlreichen Erziehungsschriften sind zu zitieren:

  • Plan zur Verbesserung des öffentlichen Unterrichts (1828)
  • Praktischer Kurs und Theorie der Arithmetik nach der Methode Pestalozzi‘s zum Gebrauch für Lehrer und Familienmütter (1829)
  • Klassische französische Grammatik (1831)
  • Prüfungshandbuch zur Erlangung von Fähigkeitsausweisen.
  • Vernünftige Schlüsse über Fragen und Probleme der Arithmetik und Geometrie (1846)
  • Grammatikalischer Katechismus der französischen Sprache (1848)
  • Programm der gewöhnlichen Kurse der Chemie, Physik, Astronomie, Physiologie (das er am polytechnischen Lyzeum hielt).
  • Normaldiktate der Prüfungen im Hotel de Ville und der Sorbonne, mit besonderen Diktaten über die orthographischen Schwierigkeiten (1849). - (Eine Arbeit, die zur Zeit ihres Erscheinens sehr geschätzt war und von der noch zur Zeit seines Todes neue Auflagen erschienen.)

Ehe der Spiritismus das Pseudonym „Allan Kardec“ populär machte, hatte er sich, wie man sieht, durch Arbeiten ganz verschiedener Natur bekannt zu machen gewusst. Jedoch hatten sich alle zur Aufgabe gestellt, die Massen aufzuklären und sie mehr an ihre Familie und ihr Land zu fesseln.

Als gegen 1850 die Frage der Geistermanifestationen auftrat, gab sich Allan Kardec beharrlichen Beobachtungen dieser Phänomene hin und widmete sich hauptsächlich der Aufgabe, die philosophischen Folgerungen daraus abzuleiten. Er zuerst erblickte darin das Prinzip neuer Naturgesetze, nämlich derjenigen, welche die Beziehungen der sichtbaren und unsichtbaren Welt beherrschen; er erkannte in der Wirkung dieser letzteren eine der Naturkräfte, deren Erkenntnis auf eine Menge bis dahin unlöslicher Probleme ihr Licht werfen sollten und erfasste ihre Tragweite namentlich hinsichtlich des Religiösen. Seine Hauptwerke darüber sind:

  • Le Livre des Esprits - Das Buch der Geister
    - als philosophischer Teil. (1. Ausgabe 18. April 1857)
  • Le Livre des Médiums - Das Buch der Medien
    - als experimentellwissenschaftlicher Teil. (Januar 1861)
  • L‘Evangile selon le Spiritisme - Das Evangelium im Lichte des Spiritismus
    - als ethischer Teil. (April 1864)
  • Le ciel et l‘enfer - Der Himmel und die Hölle
    oder die göttliche Gerechtigkeit im Lichte des Spiritismus.
    (August 1865)
  • La Genèse, les Miracles et les Prédictions selon le Spiritisme - Genesis - Die Schöpfungsgeschichte, die Wunder und Weissagungen im Lichte des Spiritismus. (Januar 1868)
  • Le Spiritisme à sa plus simple expression - Der Spiritismus in seinem einfachsten Ausdruck
  • Qu‘est-ce que le Spiritisme? - Über das Wesen des Spiritismus

 

Außerdem:
“Revue Spirite“, Zeitschrift für psychologische Studien, monatliche Sammlungen, begonnen am 1. Januar 1858.

Am 1. April 1858 gründete er in Paris die erste regelrecht eingesetzte spiritistische Gesellschaft unter dem Namen: „Société Parisienne des Etudes spirites“, deren ausschließliches Ziel das Studium alles dessen ist, was zum Fortschritt dieser neuen Wissenschaft beitragen kann.

Allan Kardec verteidigt sich mit Recht, nichts unter dem Eindruck vorgefasster oder systematischer Ideen geschrieben zu haben; als Mann von kaltblütigem und ruhigem Charakter, hat er die Tatsachen beobachtet und von diesen Beobachtungen die Gesetze, durch die sie bestehen, abgeleitet; er war der erste Theoretiker des Spiritismus und stellte eine methodische Lehre davon auf. Indem er bewies dass die fälschlich „übernatürlich“ genannten Tatsachen Gesetzen unterworfen sind, reihte er sie in die Ordnung der Naturerscheinungen ein und zerstörte so den letzten Schlupfwinkel des Wunderbaren und eines der stärksten Elemente des Aberglaubens.

Während der ersten Jahre, in denen die Frage nach dem spiritistischen Phänomen bestand, waren diese Kundgebungen mehr ein Gegenstand der Neugierde, als ein Objekt ernsten Nachdenkens; das Buch der Geister betrachtete die Sache aus einem ganz anderen Gesichtspunkt; da verließ man die drehenden Tische, die nur ein Vorspiel gewesen waren, und man versammelte sich um einen wissenschaftlichen Kernpunkt, welcher die der Menschheit interessanten Fragen umfasste.

Von der Erscheinung des Buches der Geister an datiert die wahre Begründung der spiritistischen Wissenschaft, die bis dahin nur aus zerstreuten Elementen ohne Verbindung bestanden hatte, deren Tragweite nicht von jedermann verstanden werden konnte; von diesem Augenblick an fesselte jene Lehre die Aufmerksamkeit auch der ernsten Menschen und nahm eine rasche Entwicklung. In wenigen Jahren fanden die Ideen zahlreiche Anhänger in allen Schichten der Gesellschaft und in allen Ländern. Dieser Erfolg sondergleichen wird zweifellos vor allem den Sympathien verdankt, denen diese Gedanken begegneten, aber zum großen Teil trug dazu auch die Klarheit bei, die ein hervorragendes Merkmal der Schriften Allan Kardec‘s ist.

Der Verfasser, der sich abstrakter Ausdrücke der Metaphysik enthielt, lässt sich ohne Mühe lesen, was eine wesentliche Bedingung für die Verbreitung einer Idee ist. Seine streng logische Beweisführung bietet allen Streitpunkten wenig Handhabe zur Widerlegung und macht die Überzeugung empfänglich. Die materiellen Beweise, die der Spiritismus von der Existenz der Seele und des künftigen Lebens gibt, haben die Zerstörung der materialistischen und pantheistischen Anschauungen zur Folge.

Einer der fruchtbarsten Grundsätze dieser Lehre, der sich aus dem Vorhergehenden ergibt, ist der Grundsatz von der Vielheit der Existenzen, die schon von einer Menge alter und moderner Philosophen vermutet worden war, in den letzten Zeiten von Jean Reymond, Charles Tourier, Eugène Sue u.a.; aber diese Vermutungen waren im Zustand der Hypothese und der Systemaufstellungen geblieben, während der Spiritismus die Wirklichkeit davon zeigt und beweist, dass die Reinkarnation eines der unerlässlichen Attribute der menschlichen Wesenheit ist. Von diesem Prinzip leitet sich die Lösung aller scheinbaren Anomalien des menschlichen Lebens, aller intellektuellen moralischen und sozialen Ungleichheiten ab; durch diese Tatsache wird der Mensch darüber aufgeklärt, woher er kommt, wohin er geht, zu welchem Zweck er auf der Erde ist und weshalb er leidet.

Die angeborenen Ideen erklären sich durch die in den vorhergehenden Lebensläufen erworbenen Erkenntnisse, der Kulturfortschritt der einzelnen Völker und der ganzen Menschheit durch die Menschen der vergangenen Zeiten, die, nachdem sie unterdes fortgeschritten, wiederleben, die Sympathien und Antipathien durch die Natur der früheren Verbindungen; diese Beziehungen der großen menschlichen Familie aller Zeiten mit den großen Prinzipien der Brüderlichkeit, Gleichheit, Freiheit und allgemeiner Zusammengehörigkeit, haben nicht mehr eine bloße Theorie, sondern die Naturgesetze selbst zur Basis.

Anstatt des Grundsatzes: außerhalb der Kirche kein Heil, welcher die Trennung und Erbitterung zwischen den verschiedenen Sekten unterhält und der so viel Blutvergießen in früheren Zeiten gekostet, erhobt der Spiritismus die Wahrheit zum Grundsatz: außerhalb der Nächstenliebe kein Heil, d.h. Gleichheit unter den Menschen vor Gott, Toleranz, Gewissensfreiheit und gegenseitiges Wohlwollen! Anstatt des blinden Glaubens, der die Denkfreiheit vernichtet, sagt er: Es gibt keinen unerschütterlichen Glauben, welcher der menschlichen Vernunft aller Zeitalter ins Auge sehen kann. Der Glaube braucht eine Basis, und diese Basis ist die vollkommene Einsicht dessen, was man glauben soll; um zu glauben, genügt es nicht zu sehen, man muss vor allem verstehen. Der blinde Glaube ist nicht mehr Sache dieses Jahrhunderts; denn gerade das Dogma des blinden Glaubens erweckt heute die größte Zahl der Ungläubigen, weil er sich aufdrängen will und weil er die Hingabe einer der kostbarsten Fähigkeiten des Menschen verlangt: die Vernunft und den freien Willen.

Allan Kardec, der unermüdliche Arbeiter, immer der erste und letzte am Werk, starb am 31. März 1869, am 21-jährigen Jahrestag der Entdeckung des Spiritismus zu Hydesville, mitten in den Vorbereitungen zu einem Lokalwechsel seiner Studien- und Geschäftsräume, der durch die beträchtliche Ausdehnung seiner mannigfachen Obliegenheiten nötig geworden war. Zahlreiche Schriften, die er gerade beenden wollte oder deren geeignete Erscheinungszeit er abwartete, werden eines Tages noch mehr die Ausdehnung und die Wirksamkeit seiner Schöpfungen beweisen.

Er starb, wie er gelebt, bei der Arbeit. Seit langen Jahren litt er an einer Herzkrankheit, die nur durch geistige Ruhe und eine gewisse körperliche Tätigkeit bekämpft werden konnte; aber ganz und gar sich seinem Werk hingebend, versagte er sich alles, was einen Augenblick seines Lebens auf Kosten seiner Lieblingsbeschäftigung absorbiert hätte. Bei ihm hat, wie bei allen so intensiven Seelen, die Klinge die Scheide abgenutzt.

Sein Körper wurde allmählich schwerfällig und versagte ihm den Dienst; aber sein Geist, lebhafter, energischer, ergiebiger als sein Körper, dehnte den Umkreis seiner Tätigkeit immer mehr aus.

In diesem ungleichen Kampf konnte die Materie nicht ewig Widerstand leisten. Eines Tages wurde sie besiegt; die Pulsader zersprang und Allan Kardec fiel getroffen, ein edler Held. Ein Mensch fehlte zwar auf der Erde; aber ein großer Name nahm unter den Berühmtheiten des vorigen Jahrhunderts seine Stelle ein, ein großer Geist tauchte sich in die Unendlichkeit, wo alle jene, die er getröstet und erleuchtet, ungeduldig sein Kommen erwarteten.

„Der Tod“, sagte er noch kurz vor seinem eigenen Ende, „der Tod trifft augenblicklich mit doppelten Schlägen die berühmten Reihen! ..... Wen wird er jetzt befreien?“

Er war es. Er musste in den unendlichen Raum zurücktauchen, neue Elemente suchen, um seinen durch ein Leben unausgesetzter Arbeit abgenutzten Organismus zu erneuern. Er ging mit jenen, welche die Leuchttürme der neuen Generationen sein werden, um bald mit ihnen zurückzukehren, auf dass das in strebsamen Händen zurückgelassene Werk seiner Vollendung entgegengehe!

Der Erdenpilger Allan Kardec ist nicht mehr, aber die Seele wird unter uns bleiben; sie ist ein sicherer Schutzgeist, ein Licht mehr, ein unermüdlicher Arbeiter, ein neuer Streiter der Phalanx des unendlichen Raumes. Wie auf der Erde wird er, ohne jemanden zu verletzen, wissen jedem die geeigneten Ratschläge zu erteilen; er wird den vorzeitigen Eifer der Feurigen dämpfen, den Aufrichtigen und Selbstlosen helfen und die Lauen anfeuern. Er sieht, er weiß heute alles, was er zu seinen Lebzeiten nur erst ahnte. Er ist weder mehr Ungewissheiten noch Irrtümern untertan, er wird uns teilnehmen lassen an seiner Überzeugung indem er uns mit dem Finger das Ziel berühren lässt, uns den Weg zeigt in jener klaren Sprache, die ihn zu einem Typus der literarischen Annalen macht. Der Erdenpilger von ehedem ist nicht mehr, aber Allan Kardec ist unsterblich, und sein Andenken, seine Werke, sein Geist werden immer mit jenen sein, welche sich um die Fahne scharen werden, die er ja stets hoch gehalten.

 

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